Analyse des AfD-BPT in Essen

Am 4. und 5. Juli 2015 fand in Essen ein richtungweisender Bundesparteitag statt. Bernd Lucke wurde als Vorsitzender abgewählt. Inzwischen hat er eine neue Partei (ALFA) gegründet, deren wesentliche Aufgabe es zu sein scheint, seine alte Partei, die AfD, zu diffamieren. Eine kritische Analyse dieses Parteitages.

Der Jubel sollte sich in Grenzen halten!

Um keine Zweifel aufkommen zu lassen: Es ist gut, dass Bernd Lucke weg ist – mit seinem Leitlinien-Katechismus, seinem Rote-Linien-Wahn, seinen Kontakt- und Denkverboten usw. Er hat im letzten Jahr die geistige Entwicklung der Partei nachhaltig blockiert: Organisatorisch zwar überentwickelt, ist sie programmatisch in gleichem Ausmaß unterentwickelt, was auch auf dem Essener Parteitag deutlich wurde. Ein bisschen Emanzipation von Lucke und viel Inszenierung von Petry.

Schon nach Erfurt (3 / 14) habe ich gesagt, dass die AfD mit Lucke mittelfristig keine Zukunft habe. Ausschlaggebend für mich war, dass und wie er Henkel nicht nur ins Europaparlament, sondern auch noch in den Bundesvorstand der AfD hievte. Bis zu seinem Parteieintritt im Januar 2014 war dieser Senior Advisor der Bank of America und damit ein bedeutender Lobbyist der Wall Street in Europa. So jemand gehört nicht in den Bundesvorstand der AfD. Die Partei insgesamt störte das damals noch wenig. Auch meine Kritik, dass sich unsere Parlamentarier im Europaparlament ohne Parteidiskussion und ohne Parteibeschluss für eine Fraktionskoalition mit den EKR entschieden haben, fand keinen großen Widerhall. Wir sitzen weiter mit David Cameron und seinen Tories, mithin den strammsten NATO-Scharfmachern Europas, in einem gemeinsamen Fraktionsboot!

Die Abstimmung Luckes und Henkels im EP für die Russlandsanktionen führte dann erstmals zu länger anhaltenden Unmutsäußerungen gegenüber Lucke, die sich im Umfeld des Bremer Parteitags deutlich zuspitzten. Mit viel taktischem Geschick (vor allem dem großen Ablenkungsmanöver über einen sog. sozialpolitischen Kongress) gelang es dem in die Defensive Geratenen noch einmal, sich mit seinen Satzungsplänen durchzusetzen. Ich habe nach Bremen versucht, einen überregionalen Arbeitskreis aufzubauen, der nicht auf Basis eines personellen Hickhacks, sondern inhaltlich-programmatisch gegründet eine Ablösung Luckes und seiner engsten Vasallen in die Wege leiten sollte. Für meine Essener Kandidatur zum Bundesvorstand legte ich dann auf der AfD-Kandidaten-Website ein Thesen-
Programm vor, mit dem ich die Vorstandswahlen mehr programmatisch und weniger personell polarisieren wollte. Wohl erntete ich damit Lob und Anerkennung von vielen Einzelnen, insgesamt freilich verpuffte die Wirkung dieses Papiers, weil Frauke Petry mit ihrem inoffiziellen Netzwerk nicht auf programmatische Polarisierung, sondern auf eine hinter den Kulissen erarbeitete Personalliste setzte. Diese arbeitete sie bis hin zu durchgehenden Handy-Instruktionen auf dem Parteitag systematisch ab: Ob Tagungsvorsitz, ob Schiedsgericht, ob Bundesvorstand – mit einer einzigen Ausnahme (Padzerski) – kamen ausschließlich Leute ihrer Liste zum Zug. Eine perfekte Planerfüllung! Oder soll man es „Inszenierung“ nennen: der Parteitag nur noch Ausführungsorgan eines fertigen Drehbuchs?

Worin besteht der Unterschied zwischen „Empfehlung“ und „Manipulation“, und inwiefern war das, was hier geschah, schon mehr Manipulation als Empfehlung? Natürlich können Weckruf oder Flügel oder Junge Alternative Kandidaten empfehlen. Jeder in der AfD weiß, wer der Weckruf ist und was er will. Gleiches gilt für den Flügel und die JA. Die Autoren der „großen“ Empfehlungsliste jedoch blieben anonym. Selbst dass Petry dahinter steckte, ist nicht offiziell. Ohne Hinweis auf Auswahlkriterien oder gar speziellere Programmatik begnügte man sich mit schwachsinnigen Slogans à la „gemeinsam statt einsam“ oder noch schlimmer, wie in vielen Emails, mit dem Hinweis, die Liste enthalte „die Kandidaten für eine wahrhaft alternative Partei für Deutschland“. Kandidaten, die wie ich nicht auf der Liste standen, würden demnach keine wahrhaft alternative Politik repräsentieren – ganz schön unverschämt!

Nun gab es ja ein paar Kandidaten (Gauland, Petry, vielleicht noch v. Storch), für die eine Entscheidungshilfe unnötig war, weil sie bundesweit in der AfD bekannt waren. Der Großteil der Kandidaten freilich war nur regional, nicht bundesweit bekannt. Von denen hätte man schon gerne gewusst, warum sie auf der Liste standen und wer in den jeweiligen Regionen entschieden hat, dass sie auf der Liste standen? Dies erfährt man nicht, und auch nicht, wie diese Liste zustande gekommen ist. Waren die Versammlungen der Parteiöffentlichkeit zugänglich oder hatte man, wenn man als Parteimitglied eingreifen wollte, gar nicht die Möglichkeit, dies zu tun: Transparenz oder Mauschelei – das war die Frage.

Schließlich geht es darum, wie „direktiv“ die Empfehlungen umgesetzt wurden. Wenn Mitglieder fragten, warum sie den oder jenen wählen sollten, hieß es: Der Weckruf gehe genauso vor; und wenn man es nicht so mache, würden die „Bösen“ gewinnen. Auf dem Parteitag gab es dann permanent minutiös-konkrete SMS-Anweisungen von Frauke Petry:
„In diesem Wahlgang Glaser, nicht Maier. Maier erst im nächsten, bei Beisitzer“ usw. Von einer Vorsitzenden erwarte ich freilich programmatische Ausrichtung, nicht detaillierte Wahlinstruktionen per Handy. Man entrüstet sich über den Weckruf, um ihn in puncto manipulativen Taktierens noch zu übertreffen.

Wie sehr man die Mitglieder durch die eigenen „Empfehlungen“ binden, wie sehr man Ihnen den Spielraum für eigene Entscheidungen einengen wollte, wurde vollends offenbar, als einer der Listen-Strategen den Antrag stellte, die ohnehin auf nur zwei Minuten festgelegte Vorstellungszeit auf eine Minute zu verkürzen. Kein Kandidat mehr sollte sich noch adäquat vorstellen können, und dem ratlosen Publikum dann nichts anderes übrig bleiben, als auf die Listenempfehlung zurückzugreifen. Der 1 min-Redezeit-Antrag sollte die „Gefahr“, dass irgendjemand von der Listenempfehlung abweicht, auf ein Minimum reduzieren.

Resümee: Frauke Petry hat mit anonym gebliebenen Gruppierungen und selbstermächtigten Hinterzimmer-Strategen aus verschiedenen Landesverbänden ein Schattenkabinett aufgestellt und dieses auf dem Parteitag zu 100 % durchbekommen. Diverse Telefonkonferenzen und Treffen, auf denen diese Liste entstand, waren der Parteiöffentlichkeit nicht zugänglich. Auch Kriterien, nach denen ausgewählt wurde, wurden nicht mitgeteilt. Insgesamt dürfte die Akzeptanz durch Petry das entscheidende Kriterium gewesen sein.

Das ist problematisch, denn Frauke Petry ist nicht, wie sie selbst und die Medien das hingestellt haben, eine wirklich inhaltliche Alternative zu Bernd Lucke. In zweijähriger gemeinsamer Amtszeit mit diesem hat sie das ausreichend bewiesen. Gewonnen hat sie die Wahl, weil ihr Lucke es mit seiner desaströsen Politik im letzten halben Jahr wirklich leicht gemacht hat und sie auch besser machttechnokratisch zu agieren wusste als jener. Doch inhaltlich hören wir schon wieder ständige Berufungen auf „Leitlinien“, in denen sich die üblichen Glaubensbekenntnisse zu Westbindung und NATO finden. Vielen Mitgliedern geht es aber weniger um Kontinuität zur zweijährigen Lucke-Zeit als um einen Neuanfang nach diesem, um einen innovativen Emanzipationsakt!

Gerade bei den großen Themen USA, Islam und Zuwanderung wurde nie ein Dissens zwischen Petry und Lucke offenbar. „Es gebe in Deutschland keine Überfremdung, keine Islamisierung usw.“ – so Frau Petry noch vor nicht langer Zeit! Dann Ihre Stellungnahme zum BVG-Kopftuch-Urteil, die sie jetzt als individuellen „Fehler“ gewertet haben will. Solche Einschätzungen zeugen aber von einer bestimmten politisch-philosophischen Grundeinstellung und können eigentlich nicht als „Fehler“ bezeichnet werden, wie sie sich beispielsweise in konkretem Handeln immer wieder ergeben. Allenfalls war es aus Petrys Sicht ein „Fehler“, weil sie mit ihrer ursprünglichen Einschätzung des BVG-Urteil die Vorstandswahl in Essen nicht gewonnen hätte!

Ausgerechnet in ihrer Bewerbungsrede in Essen trug sie dann eine überraschend radikale Position gegenüber dem Islam vor, die diesen als grundsätzlich inkompatibel mit dem deutschen Grundgesetz brandmarkt – in dieser Form schon überzogen, weil damit auch assimilationswilligen Moslems verunmöglicht würde, in Deutschland zu leben, und das ist ja auch nicht unsere Politik.

Auch in Hinblick auf die USA ist Frauke Petrys Position unscharf. Sie sei für eine „ausgleichende Politik im Herzen Europas unter Berücksichtigung Russlands“. Vom negativen Einfluss amerikanischer Geopolitik in Europa hört man wenig bis gar nichts! Umso wichtiger wäre es zu wissen, ob und was an Petrys von Bloggern berichteten Besuchen in US-amerikanischen Botschaftsvertretungen dran ist. Eine diesbezügliche Auskunft ist notwendig, wie auch eine Erklärung darüber, wie das auf dem Bremer Parteitag mit dem Vertreter der amerikanischen Botschaft wirklich war. Bekanntlich begrüßte Petry diesen am Eröffnungsabend des Parteitags ausdrücklich. Auf meine öffentliche Anfrage am Sonntag hin, warum denn der amerikanische Vertreter gekommen sei, der russische nicht, hieß es, von Petry unwidersprochen, alle Botschafter seien routinemäßig eingeladen worden, der russische sei halt nicht gekommen. Das stimmte freilich nicht, was leicht nachprüfbar war. Deshalb teilte Frauke Petry einige Tage später auf Anfrage in einer Mail mit, niemand sei eingeladen worden, der amerikanische Botschaftsvertreter habe sich selbst eingeladen. Auch das dürfte nicht stimmen, ist freilich schwerer falsifizierbar. Mutmaßlich war es einfach so, dass die Amerikaner eingeladen wurden, die Russen aber nicht – und das wäre dann in der Tat ein Politicum. Wer also hat im alten Bundesvorstand das beschlossen und was konkret hat Frauke Petry damit zu tun?

Wie es aussieht, wird es eine Spaltung der Partei entlang der Trennlinie Weckruf-Flügel geben. Das ist schlecht, nicht nur weil 70 bis 80 % der Weckruf-Mitglieder glaubwürdig alternative Positionen vertreten, sondern auch deswegen, weil wir sie brauchen, wenn die AfD nicht alte Politik reproduzieren, sondern neue Politik kreieren soll. Denn hier gilt der Satz des altgriechischen Philosophen Heraklit: Der Krieg ist der Vater aller Dinge – will heißen: nur durch das Zusammenprallen von Gegensätzen entsteht das Neue; in der AfD z.B. durch den Zusammenprall der Gegensätze von Weckruf und Flügel. Mit der jetzigen Trennung aber wird Altes reproduziert: aus dem Weckruf eine dezent eurokritische FDP 2.0, wobei das mit der FDP untergegangene Konzept von Lucke und Henkel noch einmal künstlich in einer Art Konkursverschleppung reaktiviert wird.

Für die übrige AfD dagegen besteht infolge des Wegbrechens des liberalen Korrektivs durchaus die Möglichkeit, stärker in Richtung pro-Bewegung abzudriften und diese zu kopieren. Die pro-Bewegung hat freilich in den letzten Jahren ausreichend bewiesen, dass sie eine NPD light und keine Alternative für Deutschland darstellt: zu wenig europäisch, zu wenig Kulturfaktor, zu laizistisch, zu viel Deutschland-Fahnen, zu wenig bürgerlich usw.

Wir brauchen jetzt nicht eine alte rechte Politik, sondern eine neue Politik, die aus der Mitte der Gesellschaft heraus kommt, genuin also weder rechts noch links ist, die aber jetzt rechts ist, weil die objektiven politischen Verhältnisse extrem links geworden sind und zur Korrektur eben eine rechte Politik notwendig machen. Die Frage, was „rechte“ Politik bedeutet – wie im Übrigen auch die Frage Islam / Christentum / Laizismus – wird uns in der Programmdiskussion der nächsten Zeit intensiv beschäftigen müssen. [Ich werde hierzu demnächst grundsätzlich Stellung beziehen, wobei der entsprechende Tenor in meinen Büchern schon jetzt nachlesbar ist.]

Die derzeit ablaufende Spaltung der Partei ist zu personenbezogen und zu wenig programmatisch ausgerichtet. Sie kommt zu früh und wird deshalb einschneidender, als von der Sache her nötig. Hauptverantwortlich ist ohne Zweifel Bernd Lucke. Als er sah, dass seine Positionen nicht mehr mehrheitsfähig waren, taktierte er nur noch statuarisch und juristisch, bis zur letzten Konsequenz, dem Angriff auf die organisatorische Einheit der Partei. Die Reaktion von Petry und ihrem Anhang konnte diesen Spaltungsprozess nicht auffangen, sie hat ihn im Gegenteil verstärkt. Durch die rigorose 100 %-Umsetzung ihrer Personalliste auf dem Parteitag wurden die Weckrufer von allen Vorstandsämtern ausgeschlossen. Im Interesse der Gesamtpartei wäre es sinnvoller gewesen, die Vertreter und Beisitzer im Bundesvorstand nicht in Einzelwahlen, in denen sich jedes Mal die Petry-Mehrheit neu durchsetzte, sondern in Gruppenwahl zu bestimmen. Dadurch hätten auch die Minderheiten des Plenums einzelne Vertreter in den Bundesvorstand bekommen. [Wir hatten in BaWü auf dem letzten Landesparteitag eine ähnliche Situation, nur mit anderem Vorzeichen.] Darüber hinaus hätte Petry durch Verzicht auf ihre rigorose Listenstrategie eine offenere Atmosphäre bewirken und die Dichotomie, die wir jetzt haben, verhindern oder zumindest abmildern können.

Frauke Petry glaubt nun, die Folgen ihrer Roll over-Strategie mit Jörg Meuthen als wirtschaftsliberaler Galionsfigur ausreichend kompensiert zu haben – ein Bundessprecher von Petrys Gnaden, der so freilich nicht die parteiinterne Opposition wird befrieden können. Allenfalls wird mit dem Duo Petry – Meuthen das alternative Profil der AfD nach außen noch blasser. Innerparteilich spielt der Gegensatz Petry – Höcke weiter eine Rolle. Petry hat explizit – mit öffentlicher Vorankündigung in einem Tagesthemen-Interview – Höckes Wahl in den Bundesvorstand verhindert. Höcke seinerseits bezeichnete Petry am Vorabend der Wahl als das gegenüber Lucke „kleinere Übel“. Petry, die inhaltlich eigentlich für Weckruf-Positionen steht, hat auch das Problem, dass ihr durch den Auszug der Weckrufer viel Fußvolk für ihre inhaltlichen Positionen abhanden gekommen ist.

Mit Essen müssten die „Streitigkeiten“ in der AfD nun ein Ende haben – so Petrys frommer Wunsch! Es sind aber nicht „Streitigkeiten“, sondern grundsätzliche politische Widersprüche, und diese werden weiter bestehen, ob man das will oder nicht: Kleckern oder klotzen, Alternative light oder Alternative pur – Frauke Petry, die das Herumeiern liebt, muss Farbe bekennen. Schonfrist bekommt sie nicht. Denn erstens läuft uns die Zeit davon. Zweitens ist Petry kein Neuling im Vorstand: Von Anfang an stand sie, gleichberechtigt mit Lucke, an der Spitze der AfD!

Wir alle freilich sollten darauf achten, nicht wieder über Personalien, über Petry und Höcke usw. die Auseinandersetzung zu führen, sondern über scharf formulierte Programmatik, wie ich sie in meinem „AfD-Thesen-Programm“ vorgelegt habe. Die Programmdiskussion darf nicht mehr, wie zu Lucke-Zeiten, in Fachausschüsse ausgelagert werden. Sie muss die gesamte Partei erfassen. Der zentrale Verteiler schließlich darf nicht mehr privilegiertes Monopol des Bundesvorstands oder gar eines einzelnen Sprechers sein. Vielmehr müssen grundsätzliche Programmpapiere der gesamten Basis zugänglich gemacht werden. Es muss selbstverständlich sein, dass im zentralen Verteiler auch Platz ist für grundsätzliche Kritik am Bundesvorstand. Mein hier vorgelegtes Papier könnte schon einmal ein Lackmustest für die diesbezügliche Einstellung des neuen Bundesvorstands sein.

 
 
Vor dem Parteitag wurden von mir Thesen zur inhaltlichen Programm-Diskussion der Partei veröffentlicht.

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