Zum Krieg in Syrien:
Wer sind die Guten und wer die Bösen?
Wie immer, wenn die USA geopolitisch intervenieren, tun sie das nicht offen. Ob auf dem Balkan, in Afghanistan, im Irak, in Libyen oder jetzt in Syrien: Immer treten sie als Helfer der Bedrängten und als uneigennützige Anwälte der Menschenrechte auf. Wir haben die „sicheren Hinweise“ für die Existenz irakischer Massenvernichtungswaffen noch im Ohr, vollmundig vorgetragen in der Vollversammlung der UNO. Jetzt berichtet man uns wieder von „sicheren Hinweise“ für einen Chemiewaffeneinsatz durch Assad. Aha!
Wie lange, Mr. Obama, wollen Sie der Weltöffentlichkeit noch dieses Theater vorspielen? Warum sagen sie nicht einfach: „Es geht uns um unsere geopolitischen Interessen. Syrien ist die letzte Bastion der Russen im Nahen Osten. Wir wollen diese nun vollständig rausschmeißen aus der Region und unsere Vormachtstellung dort ausbauen.“
Warum geben Sie nicht zu, dass Ihnen, um dieses Ziel zu erreichen, jedes Mittel recht ist; dass Sie gezielt den Gegensatz zwischen Sunniten und Schiiten nutzen und verschärfen und die schiitische Schiene (Syrien – Iran) schwächen wollen, selbst wenn Sie dabei Seite an Seite mit Al Kaida kämpfen? Warum sagen Sie nicht einfach: „Was uns nutzt, ist gut. Denn wir sind immer die Guten. Basta.“ Das wäre doch zumindest ehrlich.
Es ist offensichtlich: Russland verteidigt den Status quo, die USA und der Westen sind der Aggressor. Letztere haben die Unruhen in Syrien systematisch geschürt und die sog. Opposition propagandistisch, logistisch und indirekt intensiv militärisch unterstützt. Jetzt wollen sie die Rebellen auch noch mit Luftabwehrraketen versorgen. Schon der Sprachgebrauch verrät Demagogie: Bei Assad spricht man vom „Regime“, während die Rebellen als „Freie Syrische Armee“ firmieren: also Freiheitskämpfer gegen ein Regime. Da wissen wir doch sofort, wer die Guten und wer die Bösen sind.
Aber nicht nur, dass diese Freiheitskämpfer die christlichen und alevitischen Minderheiten bedrohen, die unter Assad eine korrekte und faire Behandlung erfahren: Sie repräsentieren auch nicht die Mehrheit der syrischen Bevölkerung. Der Aufstand dieser Rebellen wäre nach vier Wochen beendet gewesen, wenn der Westen sie nicht unterstützt und sich nicht derart in die inneren Angelegenheiten Syriens eingemischt hätte. Es wäre der syrischen Oppositionsbewegung ergangen, wie es mutmaßlich der türkischen ergehen wird: Nach wenigen Wochen hätte Ruhe geherrscht.
Zwischen der westlich motivierten Rebellion in der Türkei und der in Syrien besteht durchaus eine Verwandtschaft. Der entscheidende Unterschied aber liegt in der geopolitischen Bedeutung: In Syrien fördert die Rebellion die Interessen der USA, in der Türkei schadet sie ihnen. Wenn man es so betrachtet, dann sind für Zehntausende Tote, für Hunderttausende Verletzte und für Millionen Flüchtlinge in erster Linie nicht Assad, nicht die Rebellen und auch nicht Russland, sondern die USA verantwortlich. Anstatt sich nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen und diesen die Verantwortung für ihre jeweilige Regierungsform selbst zu überlassen, haben sie mit ihrem humanitär verbrämten Interventionismus ein Feuer, das ohne sie längst erloschen wäre, zu einem Flächenbrand entfacht. Die Heuchler in den westlichen Hauptstädten, allen voran in Washington, sind hauptverantwortlich für das unendliche Leid, das die syrische Bevölkerung derzeit erduldet.