Das Patzelt-Gutachten in der Sache Gedeon – Quo vadis, AfD?

Analyse des Patzelt-Gutachtens in der Sache Gedeon von einem unbekannten Autor.

E-Mail vom 16. Juli 2016 – Autor und Absender unbekannt – an unbekannte Anzahl AfD-Mitglieder. E-Mail wird ohne Änderungen wiedergegeben:

 

Der Politologe Prof. Werner Patzelt hat im Auftrag der Meuthen-Seite im Streit um die Antisemitismus-Vorwürfe gegen Dr. Gedeon außerhalb des geplanten und mittlerweile gescheiterten Gutachterverfahrens ein Kurzgutachten erstellt, das online verfügbar ist (link s.u.). Die Untersuchung des Gutachtens erlaubt einige interessante Feststellungen, die nicht nur die Causa Gedeon betreffen, sondern deutlich über sie hinausgehen und für die AfD von grundsätzlicher Bedeutung sind. Deshalb sollen das Gutachten (unter I.) und diese Feststellungen (unter II.) hier kurz vorgestellt werden.

I. Der Inhalt des Gutachtens

Die Ausführungen von Patzelt sind dreigeteilt. Nach einer Einführung in die Begrifflichkeiten in einem ersten Teil, subsumiert er im Hauptteil die Thesen Gedeons aus dessen Buch „Der grüne Kommunismus“ unter die vorgestellten Begrifflichkeiten. In einem dritten Abschnitt gibt er der AfD-Fraktion bzw. der Partei „politische Ratschläge“.

1. Ausgehend von der Feststellung, dass die Frage, ob die Thesen Gedeons antisemitisch seien, davon abhängt, wie man Antisemitismus definiert, stellt Patzelt den Begriff Antisemitismus vor. Aus seinen Ausführungen ergibt sich, dass historisch eine Ausweitung des Begriffs stattgefunden hat. Es gibt offensichtlich einen weiten Begriff. Patzelt spricht hier von Antisemitismus „in heutiger politischer Sprache“ (II.1.). Und es gibt einen engen, klassischen Begriff. Patzelt spricht insoweit von einem Antisemitismus, wie er einem „zuallererst in den Sinn kommt“ (unter II. 6.). Patzelt stellt dann verschiedene Facetten des weiten Antisemitismusbegriffs begrifflich vor und unterscheidet insoweit zwischen einem christlichen Antijudaismus, modernen bzw. sekundären Antisemitismus und (verschwörungstheoretischen) Antizionismus. Außerdem beschäftigt er sich noch mit dem Zusammenhang von Antisemitismus und Rassismus.

2. Im zweiten Teil seines Gutachtens bewertet er die Thesen Gedeons anhand der aufgestellten Begrifflichkeiten.

Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Thesen Gedeon nicht im klassischen Sinne antisemitisch seien:

„Es ist richtig, dass Wolfgang Gedeon im untersuchten Buch nirgendwo gegen Juden hetzt und auch an keiner Stelle jenen biologisch-rassistischen Antisemitismus vertritt, der – aufgrund zumal des Holocaust und seiner inhaltlichen Begründung – bei der Rede vom Antisemitismus zuallererst in den Sinn kommt.“

und ergänzend:

„Außerdem sagt er klar, dass einen „undifferenzierten pauschalen Hass gegen alles Jüdische […] jeder vernünftige und anständige Mensch ablehnt“, als der er sich zweifellos selbst sieht.“

Allerdings finde sich sog. sekundärer Antisemitismus bei Gedeon:

„Gedeon nennt den Holocaust auch klar ein Massenverbrechen, was offensichtlich voraussetzt, dass er die Tatsächlichkeit des Holocaust nicht bestreitet. Er macht aber ein Problem daraus, dass die Bestreitung dessen, was unzweifelhaft der Fall war, auch strafbewehrt sein soll. Eine solche Haltung indessen kommt allein jenen zupass, die – aus welchen Gründen auch immer – die Tatsächlichkeit des Holocaust gerade in Zweifel ziehen wollen.“

Außerdem sei Gedeon Antijudaist:

„Der Rahmen von Gedeons Argumentation besteht im christlich begründeten Antijudaismus.“

und Antizionist:

„Gedeons Position ist ausdrücklich antizionistisch, …“

Im weiten Begriffsinne seien die Thesen deshalb antisemitisch:

„Subjektiv mag Wolfgang Gedeon also kein Antisemit sein; doch objektiv fallen nicht wenige Aussagen über Juden im Buch über „Grünen Kommunismus“ unter die Teilbegriffe von Antisemitismus.“

Abgesehen von dem vorhandenen sekundären Antisemitismus, könne Antijudaismus nämlich nicht von Antisemitismus getrennt werden und sei der Antizionismus Gedeons „veschwörungstheoretisch“:

„Antijudaismus lässt sich aber nicht vom Antisemitismus trennen.“

„Gedeons Position ist ausdrücklich antizionistisch, und zwar darin, dass er das Handeln des Staates Israel sowie jüdischer Netzwerke als abträglich für Deutschland und die internationalen Beziehungen ansieht. Über eine völlig normale und legitime Kritik an der Politik eines anderen Staates oder an Bestrebungen einzelner Bevölkerungsgruppen geht Gedeon aber zweifach hinaus. Erstens hält er eine „zionistische Verschwörung“ nicht nur für möglich, sondern sieht sie auch ausdrücklich am Werk. So begründeten Antizionismus will er zwar vom Antisemitismus klar abtrennen. Doch er führt – zweitens – den Zionismus unmittelbar auf religionsgeschichtliche Eigentümlichkeiten des nachchristlichen Judentums zurück…“

3. Im dritten Teil seine Gutachten erteilt Patzelt „politische Ratschläge“.

Politische Parteien seien kein Forum für kontroverse Debatten, erklärt Patzelt ganz allgemein. Wer dort in kritischen Bereichen „analytische Denkanstöße“ geben wolle, verkenne die „Spielregeln der Parteipolitik“. Und wer nicht in der Lage sei, „als rassistisch oder antisemitisch auslegbare“ Äußerungen zu unterlassen, schädige die Partei. Die Aussagen von Gedeon seien entsprechend auslegbar. Der Vorwurf antizionistischer, antijudaistischer und (sekundär) antisemitischer Aussagen werde an ihm „kleben bleiben“. Deshalb sei die AfD angreifbar, solange Gedeon politische Verantwortung trage. Wenn Gedeon nicht freiwillig auf seine Fraktionsmitgliedschaft verzichte, sollte er ausgeschlossen werden. Einen Verbleib würde „man“ nämlich als Billigung oder gar Unterstützung ansehen. Insoweit würde die AfD dann in „Mithaftung“ genommen.

II. Die Bewertung des Gutachens

Es sind insbesondere drei interessante Feststellungen zu treffen:

1. Man kann nach dem Gutachten sagen, Gedeons Aussagen seien nicht antisemitisch.

Entgegen einiger Pressestimmen bzw. Äußerungen der Meuthen-Seite kann man nicht sagen, dass Gutachten bestätige die Vorwürfe gegen Gedeon. Im Gegenteil.

Das Gutachten bestätigt wesentliche Aussagen Gedeons. Patzelt unterscheidet wie Gedeon zwischen Antisemitismus, Antijudaismus und Antizionismus. Auf dieser Basis bestätigt Patzelt auch die Aussage Gedeons, er sei kein Antisemit, sondern Antizionist und Antijudaist. Anders als Gedeon meint er nur, dass Antijudaismus und Antisemitismus nicht getrennt werden könnten, ohne dies allerdings näher zu begründen, und dass Antizionismus dann nicht „normal“ sei, wenn er „verschwörungstheoretische“ Aspekte enthalte.

Die Frage, ob das Gutachten ergibt, dass die Thesen Gedeons antisemitisch sind, muss mit einem klaren „jein“ beantwortet werden. Die Antwort hängt schlicht davon ab, welchen Antisemitismusbegriff man heranzieht. Legt man den klassischen Begriffsinhalt zugrunde, kann man sagen, Gedeons Äußerungen seien nicht antisemitisch.

Entsprechend spricht Patzelt bei seinen Ratschlägen an die Partei auch (nur) noch davon, dass Gedeon keine politische Verantwortung in der Partei tragen dürfe, weil seine Aussagen so „auslegbar“ seien.

2. Wenn die AfD bei der Bewertung von Aussagen auf die „Auslegbarkeit“ abstellt oder sich möglichst weit und pauschal von Antisemitismus abgrenzt, wie von Patzelt vorgeschlagen und zur Zeit von führenden AfD-Politikern umgesetzt, schadet sie sich selbst. Denn nach dem Gutachten kann man die AfD als antisemitische Partei ansehen.

Die „Auslegbarkeit“ darf für die AfD nicht Maßstab der Beurteilung von Aussagen ihrer Parteimitglieder sein. Ebensowenig darf sie sich damit begnügen, einfach von außen vorgegebene Begriffe zu übernehmen und sich undifferenziert abzugrenzen. Das zeigt sich gerade auch im vorliegenden Fall des Begriffs Antisemitismus mehr als deutlich.

Auf Basis des Gutachtens von Patzelt müssen sich nämlich außer Gedeon nicht nur weitere Mitglieder und sogar Funktionäre wie z.B. Björn Höcke (link s.u.) als Antisemiten bezeichnen lassen. Nach dem von Patzelt unterstützten Antisemitismusbegriff „in heutiger politischer Sprache“, der angeblich von der Mehrheit der Sozialwissenschaftler geteilt wird, kann sogar die ganze AfD als antisemitisch bezeichnet werden. Denn im Parteiprogramm heißt es:

„Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst.“

Mit seinen Ausführungen gibt Patzelt letztlich der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, Charlotte Knobloch, Recht. Diese hatte zu dem genannten Passus geäußert: „Das trägt – gewollt oder bewusst fahrlässig – unterschwellige Züge von sekundärem Antisemitismus.“ (link s.u.)

Stellt die AfD also auf das Kriterium der „Auslegbarkeit“ einer Aussage ab oder übernimmt den weiten Antisemitismusbegriff der laut Patzelt herrschenden sozialwissenschaftlichen Meinung, macht sie selbst zu einer antisemitischen Partei. Wenn sie sich insoweit pauschal von jeglichem Antisemitismus abgrenzt, grenzt sie sich von sich selbst ab. Wenn sie Antisemitismus pauschal bekämpft, bekämpft sie sich selbst. Sie stärkt die gesellschaftliche Akzeptanz dieses ihr schädlichen weiten Begriffsverständnisses und macht sich damit zur umso geeigneteren Zielscheibe für den politischen Gegner in zukünftigen Auseinandersetzungen.

3. Die AfD muss die Begriffe im „Kampf gegen rechts“ selbst definieren, wenn sie diesen Kampf überleben will.

Anders als Patzelt behauptet, macht sich die AfD also nicht durch Aussagen einzelner Mitglieder angreifbar, sondern vor allem dadurch, dass sie anderen die Definitionshoheit über gesellschaftlich negativ konnotierte Begriffe im „Kampf gegen rechts“ überlässt und zulässt, dass insbesondere auch ihre politischen Gegner diese Begriffe Schritt für Schritt ausweiten, um sie dann gegen die AfD einzusetzen.

Will die AfD verhindern, dass immer mehr ihrer Positionen, Verhaltensweisen und Äußerungen als antisemitisch oder rassistisch angesehen werden, muss sie deshalb das aktuelle Definitionsmonopol aufbrechen. Sie muss sich um eigene Definitionen bemühen und dabei einer aus ihrer Sicht sachlich nicht gerechtfertigten Ausweitung der Begriffe entgegen treten.

Statt sich im vorliegenden Fall pauschal möglichst weit und undifferenziert von Antisemitismus und Rassismus abzugrenzen, sollte die AfD zuerst der Frage nachgehen, was sie unter Antisemitismus und Rassismus verstehen will.

http://wjpatzelt.de/?p=895
http://www.achgut.com/artikel/wie_antisemitisch_ist_die_alternative_fuer_deutschland
http://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/muslime-und-juden-kritisieren-geplantes-parteiprogramm

Das Patzelt-Gutachten analysiert
Das Patzelt-Gutachten analysiert

Ein Kommentar

  1. Obwohl die Begriffe Rassismus oder Antisemitismus in der Regel deutlich definiert sind, findet beziehungsweise erfindet die Gesellschaft immer wieder neue Auslegungsvarianten für diese. Mir ist bewusst, dass die AFD hier eine klare Linie finden muss, dennoch finde ich eine Diskussion hier eher unsinnig als Hilfreich. Durch solche „sozialpolitischen Denk-und Ausspracheverbote wird eine generelle Diskussion vermieden denn verbote sind der Feind jeder offenen Debatte . Somit wird nur verhindert dass gewisse Denkanstöße Überhaupt gedeihen, auch wenn sie sittenwiedrig sind. Linksextremisten werden allein die Bezeichnung der Hautfarbe oder das vermeiden von Asyl als antisemitisch, faschistisch oder rassistisch bezeichnen ebenso wird die rechte Seite dies bestreiten.
    Durch mediale und politische Einflussnahme wurden bereits viele Begrifflichkeiten verunstaltet und per euphemistischer Tretmühle stigmatisiert.
    Jeder der eine aussage als rassistisch oder antisemitisch bezeichnet sollte immer wieder mit der Definition dieser beiden Begriffe konfrontiert werden und dazu aufgefordert seinen Rassismus Vorwurf genau zu definieren. Dadurch werden diese Personen gezwungen Ihre Thesen immer wieder aufs Neue zu untermauern. Dadurch wird sich in einen Großteil der Vorwürfe herausstellen, dass diese Vorwürfe nicht mehr als purer Populismus sind

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