Zum NSA-Abhörskandal

Zum NSA-Abhörskandal:
Wer die USA zum Freund hat, braucht keine Feinde mehr

Beim NSA-Skandal geht es um Datenschutz, das sieht jeder. Noch mehr geht es um Geopolitik, das sehen nur wenige.

Schon 2011 stellte das Europaparlament in Straßburg fest, dass die Amerikaner (zusammen mit ihren Verbündeten „erster Klasse“, nämlich Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland) über die in Bad Aibling stationierte Abhöranlage Echelon systematisch Wirtschaftsspionage gegen westliche Staaten, vor allem gegen Deutschland, betrieben haben. Edward Snowden berichtet nun, die USA würden das weiterhin tun. Obama bestreitet es, und wenn er es sagt, müssen wir es ja glauben — oder nicht?

Schon WikiLeaks hat vor zwei Jahren enthüllt, die amerikanische Regierung — verantwortlich die damalige Außenministerin Obamas, Hillary Clinton — würde gezielt UNO-Delegierte in New Yorker Hotels belauschen. Jeder andere Staat hätte in so einem Fall mit schärfsten UN-Sanktionen rechnen müssen. Hier gab es nicht einmal den üblichen, die Leute beruhigenden Medienaufschrei, nur business as usual. Jetzt berichtet Snowden, dass auch EU-Institutionen und verschiedene EU-Regierungen systematisch vom amerikanischen Geheimdienst verwanzt worden seien. Man muss sich das einmal vorstellen! Wenn jemand befreundete Regierungen unmittelbar abhört, ist das noch einmal eine ganz andere Dimension, als wenn er elektronische Daten im Internet abgreift. Die deutsche Regierung fordert nun scheinbar energisch „Aufklärung“, begnügt sich aber tatsächlich mit ein paar beschwichtigenden Worten amerikanischer Politiker sowie einem Fototermin mit dem amerikanischen Vizepräsidenten. Im Übrigen, so der deutsche Innenminister Friedrich, ärgere es ihn, „dass jeder Verdächtigungen gegen unsere amerikanischen Verbündeten in die Welt setzen kann“.

Die geopolitische Dimension der Affäre ist, dass die USA der ganzen Welt drohen, Snowden ja kein Asyl zu gewähren. „Ich hoffe“, so ein amerikanischer Abgeordneter, „wir jagen Snowden bis ans Ende der Welt, führen ihn seiner gerechten Bestrafung zu und lassen die Russen wissen, dass es Konsequenzen gibt, wenn man so jemandem Schutz gewährt“. Dementsprechend handelt Mister President. Keine europäische Regierung, am allerwenigsten die deutsche, wagt es, ihren humanitären Verpflichtungen gerecht zu werden und Snowden, diesem modernen Helden, Asyl zu gewähren. Vollmundige Menschenrechtspredigten in der Mongolei, in Russland und allüberall, aber in Deutschland? Da erinnert sich Frau Merkel lieber ihrer Sozialisation in der FDJ: sich wegducken und dem großen Bruder ja nicht widersprechen. Der einzige Unterschied zu damals: der große Bruder sitzt jetzt nicht mehr in Moskau, sondern in Washington.

Die USA gingen so weit, dass sie europäische Staaten zwangen, für das Flugzeug des bolivianischen Präsidenten Morales den Luftraum zu sperren und es zur Landung inklusive einer Durchsuchung in Wien zu zwingen. Vor aller Welt haben sich damit die europäischen Regierungen als Vasallenstaaten der USA geoutet. Dieser Gesichtspunkt geht in der NSA-Diskussion weitgehend unter. Vor allem die Rot-Grünen und zahlreiche Medien versuchen die Aufmerksamkeit auf deutsche Geheimdienste zu lenken und die Amerikaner damit zu entlasten nach dem Motto: alle haben abgehört, alle haben gesündigt. Eine diffuse Aufregung über Datenschutzverstöße soll dazu dienen, vom Kern des Problems abzulenken, nämlich der rücksichtslosen Machtausübung der USA auch in Europa.

Die USA behandeln Deutschland als sog. „drittklassigen“ Bündnispartner, was einschließt, dass es auch als potentielles Angriffsziel gesehen wird. Eigentlich bräuchten wir, um das zu erkennen, gar nicht Herrn Snowden. Wir bräuchten uns nur umzuschauen. Was machen die vielen amerikanischen Soldaten 70 Jahre nach Kriegsende immer noch auf deutschem Territorium? Wenn der Bundestag im März 2010 mit parteienübergreifender Mehrheit einen Beschluss fasst, die Amerikaner möchten bitte ihre Atomwaffen aus der Eifel abziehen, ist das Ergebnis der Verhandlungen nach einem Jahr: Die Atomwaffen bleiben, die Deutschen müssen die Modernisierungskosten hierfür übernehmen (einen Milliardenbetrag) und die Verfügung über die Atomwaffen bleibt natürlich nach wie vor ausschließlich bei den Amerikanern.

Es wäre allerhöchste Zeit, sich grundsätzliche relativierende Überlegungen über diese Art Freundschaft zu machen, die wir hier geboten bekommen. Es geht ja nicht nur um Spionage, es geht um Bomben und Kriege und derzeit vor allem um Drohnen: Ca. 4000 Tote — die meisten nicht unter Bush, sondern unter Obama — haben die Amerikaner zu verantworten. Offiziell gesteht man bis zu 20 % unbeteiligter Zivilisten ein. Nach einer Untersuchung an der Stanford University sind freilich nur 2 % der Getöteten vom amerikanischen Geheimdienst (nicht von Gerichten!) definierte Terroristen. Bei den übrigen 98 %, also bei etwa 3900 Menschen, wisse man in der Regel überhaupt nicht, um wen es sich da gehandelt habe. Welcher Staat auf der Welt leistet sich auch nur ansatzweise solche Mordkommandos? Welche Regierung hätte annähernd so viele Kinder getötet wie die amerikanische? Obama einer der größten lebenden Kindermörder?

Anstatt die Beziehungen zu den USA entscheidend zu relativieren, tut unsere politische Klasse das Gegenteil. In Wiesbaden zum Beispiel baut die NSA ein riesiges neues Zentrum. Nur amerikanische Firmen dürfen die Aufträge ausführen. Sogar das verwendete Material wird unter hohen Sicherheitsvorkehrungen aus den USA importiert! Darüber hinaus versucht man, über die Errichtung einer transatlantischen Freihandelszone auch die wirtschaftlichen Beziehungen noch enger zu knüpfen. Und militärisch wird zwar die Bundeswehr systematisch verkleinert, die amerikanische Militärpräsenz aber bleibt. Gleichzeitig wird eine Intensivierung politischer und erst recht militärischer Beziehungen zu anderen Staaten, vor allem zu Russland, einem Trommelfeuer medialer Anti-Agitation ausgesetzt: der böse Putin, der böse Putin, der böse Putin …… „Was seht Ihr die Splitter im Auge des Nächsten, den Balken im eigenen Auge aber nicht?“
NSA, Bomben und Drohnen auf der einen Seite, eher fragwürdige Gestalten wie Chodorkowski, Pussy Riot und Nawalni auf der anderen: Hat wirklich Putin den Balken im Auge, oder vielleicht doch Herr Obama und die USA? Darüber sollten wir nachdenken!

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