Zum Eklat – Polizeieinsatz – am Mittwoch, 12.12.2018, im Landtag: Offener Brief an Präsidentin Aras

Offener Brief an Frau Aras als Begründung meines Widerspruchs vom 13.12.2018

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

in Ergänzung meines Schreibens vom 13.12.2018 reiche ich folgende Begründung meines dort eingelegten Einspruchs nach:

Sie erteilten mir einen Ordnungsruf, nachdem ich Ihnen vorgeworfen hatte, Sie würden die Sitzung im Oberlehrerstil führen, und dass wir den Autoritarismus in den Schulen nicht abgeschafft hätten, um ihn im Parlament wieder einzuführen. Sie haben nicht begründet, warum eine solche Äußerung mit einem Ordnungsruf zu belegen ist und welche Verhaltensänderung von mir erwartet würde, um weitere Ordnungsrufe zu vermeiden.

Auch den zweiten Ordnungsruf zu meinen Ausführungen über „Demokratie à la Türkei“ erteilten Sie ohne Begründung und ohne den (nach der Geschäftsordnung § 91a, Abs. 2) üblichen Hinweis auf die Folgen eines weiteren Ordnungsrufes, nämlich den Wortentzug!

Als ich meine Rede bereits beendet und das Rednerpult verlassen hatte, lieferten Sie eine Begründung für die zuvor erfolgten Ordnungsrufe nach. Dabei trugen Sie allerdings nur vor, dass wir „eine Geschäftsordnung“ hätten, wo „genau geregelt“ sei, „was hier Normen und Formen sind und was auch Anstand ist und die Kritik an der Präsidentin ist hier nicht erlaubt.“

Ich konnte in der Geschäftsordnung solche Regelungen über „Anstand“ nicht finden und auch nicht, wo dort steht, dass man den/die Präsident/in nicht kritisieren dürfe. Sollte mir ein diesbezüglicher Paragraph entgangen sein, bitte ich um Hinweis mit Angabe der Fundstelle. Ansonsten wäre ihre Begründung hinfällig, und damit auch die entsprechende Ordnungsmaßnahme.

Es ist auch schwer vorstellbar, dass sich so ein Paragraph in der Geschäftsordnung eines demokratischen Landtags findet, denn „Majestätsbeleidigung“ ist bekanntlich ein Sachverhalt, der sich auf ein politisches System bezieht, das wir vor geraumer Zeit hier abgeschafft haben. Wenn sich also eine Kritik auf einen konkreten Vorgang der Plenarversammlung bezieht, der unmittelbar vorangegangen und, wie in diesem Fall, auch politisch-inhaltlich konnotiert ist, kann mir als gewähltem Abgeordneten nicht verwehrt werden, gerade auch im Hinblick auf die mir verfassungsrechtlich zugesicherte Freiheit in der Ausübung meines Mandates (Artikel 27 der Landesverfassung), eine solche Kritik in der mir zugestandenen Redezeit vorzutragen – auch wenn dadurch die Tagungsleitung in den Fokus der Kritik rückt.

Nach meiner Rede – ich hatte das Rednerpult bereits verlassen – verwiesen Sie mich des Saales; Ihre Begründung: „[…] für ‚Anatolien‘, das ist diskriminierend, und dafür bekommen Sie einen Sitzungsausschluss!“

Offensichtlich verstehen Sie diese Ausschluss-Maßnahme also nicht als Folge von zwei nicht beachteten Ordnungsrufen, sondern als Ahndung nach Geschäftsordnung § 92, Abs. 1 aufgrund der besonderen „Schwere der Ordnungsverletzung“, der gegenüber eine andere Ordnungsmaßnahme „nicht ausreicht“.

Das hieße: Meine Meinungsäußerung über schwere Mängel Ihres Führungsstils im Landtag, für die ich über den Begriff Anatolien auch einen Zusammenhang mit Ihrer Kulturalisation und Sozialisation in der Türkei angedeutet habe, würde für sich ausreichen, meinen Sitzungsausschluss zu begründen. – Eine bloße Meinungsäußerung wie auch immer, selbst wenn sie eine Kritik am Kaiser von China beinhaltete, kann jedoch in einem demokratischen Parlament nie und nimmer der Grund für den Ausschluss eines Parlamentariers aus dem Parlament sein! Solches zu veranlassen, ist ein so schwerer Verstoß gegen Grundprinzipien der Demokratie, der Landesverfassung und des Grundgesetzes, dass man eher Ihren Ausschluss von den nächsten Landtagssitzungen erörtern müsste als den meinen.

Ich habe den Vergleich mit Anatolien gebracht, um Ihre konkrete Sitzungsleitung zu kritisieren und nicht, um Sie wegen Ihrer Herkunft zu „diskriminieren“; d.h. ich hätte Ihr Verhalten im Parlament auch mit türkischen Verhältnissen verglichen, wenn Sie in Afrika, Syrien oder sonst wo aufgewachsen wären! Aber selbst eine Kritik, der es vorrangig um die Frage ginge, ob jemand aus der zweiten Zuwanderungsgeneration, aus einer Kultur kommend, die der deutschen sehr fremd ist, bereits in der Lage ist, ein deutsches Parlament zu führen, ist legitim und darf jederzeit auch im Parlament aufgeworfen werden; zumal diese Ansicht in der Bevölkerung verbreitet und auch von Landtagsabgeordneten immer wieder zur Diskussion gestellt wird.

Ihre Amtsführung im Parlament ist oft willkürlich und parteiisch. Noch nie hat z. B. ein Parlamentarier der Altparteien von Ihnen einen Ordnungsruf bekommen; nicht einmal Rülke für seinen unappetitlichen Nazi-Vergleich gegenüber dem Kollegen Räpple. Letzterem dagegen haben Sie einen Ordnungsruf erteilt, weil er die Jusos, die erst vor kurzem mit großer Mehrheit auf ihrem Kongress die Tötung ungeborener Kinder bis zur Geburt gutgeheißen haben, als „rote Terroristen“ bezeichnet hat.

Ich selbst war bislang der Ansicht, dass man Ihnen eine Chance geben und erst einmal schauen sollte, wie Sie sich entwickeln. Inzwischen halte ich Sie aber nicht mehr für geeignet, dieses hohe Amt zu bekleiden. Wenn man hört, wie Sie so im Landtag herumschreien: „Wenn Sie noch etwas sagen, dann fliegen Sie raus …“ etc.pp., dann ist das kein Ton, in dem man mit parlamentarischen Kollegen umgeht.

Wenn Sie jetzt auch noch darangehen, aufgrund Ihrer türkisch-kurdischen Wurzeln jeden Vergleich Ihrer Amtsführung mit türkischen Verhältnissen als „Diskriminierung“ abzutun oder gar zur Grundlage für rechtswirksame Maßnahmen im Parlament machen, missbrauchen Sie offensichtlich diesen Begriff, um sich selbst vor berechtigter Kritik zu schützen. Solches darf ein demokratisches Parlament einem Parlamentarier nicht durchgehen lassen und schon gar nicht einer Landtagspräsidentin!

Ich fasse zusammen:

Ihren Ordnungsmaßnahmen gegen mich fehlt eine konsistente Rechtsgrundlage. Die Begründung, diese sei in der Geschäftsordnung „genau geregelt“ und eine Kritik an der Amtsführung der Präsidentin sei von dieser GO als unerlaubt ausgewiesen, ist falsch. Aus einem kurzen in sich zusammenhängenden Redebeitrag haben Sie drei verschiedene Ordnungsrufe konstruiert und zuletzt noch, um mich des Saales verweisen zu können, den Vergleich mit Anatolien zu einer besonders „[s]chwere[n] Ordnungsverletzung“ aufgebauscht.

Dieser Saalverweis ist nicht nur unverhältnismäßig, sondern rechtlich haltlos und politisch ein Skandal. Sie haben Ihre persönliche Befindlichkeit („Anatolien ist diskriminierend“) zur Grundlage der Landtagsgeschäftsordnung gemacht und Ihre derart uminterpretierte Geschäftsordnung auch noch über die Prinzipien der Landesverfassung (Art. 27 Rechte der Abgeordneten s.o.) gestellt. Angesichts solch schwerwiegender Verstöße gegen unsere FDGO, zu denen unzweifelhaft ein unberechtigter Ausschluss frei gewählter Abgeordneter aus dem Parlament gehört, ist ziviler Widerstand legitim, ja notwendig und vom Grundgesetz sogar vorgesehen! In diesem Sinn haben Kollege Räpple und ich uns zu Recht geweigert, den Saal zu verlassen und dies erst getan, als Sie den Skandal auf die Spitze getrieben haben. Anstatt die zugespitzte Situation im Plenarsaal durch Diskussion und Abstimmung im Parlament zu klären, haben sie die Polizei in den Landtag geholt!

Dieser einmalige Vorgang in der deutschen Geschichte seit 1945 geht, verehrte Frau Aras, voll zu Ihren Lasten! Die Bilder davon werden in die Welt gehen und Deutschland als allenfalls halbdemokratische Bananenrepublik erscheinen lassen. Wer dann noch von „Weltmacht der Werte“ oder „Hochburg der Menschenrechte“ tönt – Frau Merkel hat es jahrelang praktiziert – macht sich nur noch lächerlich.

Um den Schaden zu begrenzen, sollten Sie Ihre getroffenen Ordnungsmaßnahmen umgehend zurücknehmen. Andernfalls ist der Landtag bei der Abstimmung über meinen Widerspruch gefordert, und die Vertreter der Altparteien müssen zeigen, wie weit sie schon demokratisch heruntergewirtschaftet sind oder ob diesbezüglich noch eine gewisse moralische Konsistenz vorhanden ist. Ich und viele andere sind da sehr gespannt!

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Wolfgang Gedeon MdL

P.S.: Der Film zu den Ereignissen des 12.12.18 im Stuttgarter Landtag ist auf Youtube oder auf meiner Website hier abrufbar.

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